Dienstag, 29. November 2016

Home visits

Zu unserer Arbeit, oder unserem Freiwilligendienst hier, gehören auch Home Visits. Wie der Name schon sagt, besuchen wir Schüler zu Hause. Wir, das heißt Franzis und ich, machen das immer gemeinsam mit Jo. Die ersten sechs liegen hinter uns – letzten Mittwoch meine drei, die Woche davor zwei von Franzis und die Woche davor eine Schülerin von Franzis – Zeit ein bisschen zu erzählen.
Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie einen deutschen Elternsprechtag, bei dem der Schüler dabei ist, finde ich. Der Lehrer – also wir – erzählen wie sich der Schüler in der Schule so macht, was gut klappt und was nicht so gut und was man noch verbessern sollte (endlich konnte ich mal sagen mehr Hausaufgaben machen, anstatt mir wie sonst jedes Jahr von meinen Eltern berichten zu lassen, dass der Lateinlehrer wünscht, dass ich mehr Vokabeln lerne :D). Was hier sicherlich anders ist: die Eltern berichten mindestens genauso ausführlich, wie der Schüler sich zu Hause so verhält. Dabei wird immer erwähnt, wie viel er zu Hause lernt, ob er wie gewünscht im Haushalt mithilft, ob er auf die Eltern hört, ob er zu viele Filme guckt und zu viel spielt.
Zu viel Spielen wird hier meinem Eindruck nach tatsächlich „verteufelt“. Es wird angesehen als der Gegensatz zum Arbeiten und Lernen, so werden die Schüler ermahnt sie sollen nicht so viel Zeit mit Spielen verbringen. Spielen bedeutet dabei vor allem, was mit Freunden machen, einfach Spaß haben. In etwa dem gleichen Maße wird Filme gucken kritisiert, was die Schüler hier viel zu machen scheinen. Während ich letzteres gut unterstützen kann, denke ich mir bei ersterem, dass es für die Schüler durchaus auch sehr gut sein kann, einfach unbesorgt spielen und mit Gleichaltrigen was unternehmen zu können.
Ein weiterer Unterschied: Der Schüler wird fast ausschließlich kritisiert. Alle sechs Schüler haben bisher deutlich zu wenig gelernt. Ich habe teilweise den Eindruck, dass man gezielt nach dem, vermeintlichen, Fehlverhalten sucht. Während man bei uns, so denke ich, oftmals gezielt versucht das positive Herauszuheben. Selbst wenn meine Berichte über das Verhalten im Unterricht hauptsächlich positiv waren, wurde der Schüler für sein Verhalten immer kritisiert, statt gelobt. Irgendwie schade. So habe ich am Ende oftmals gezielt versucht, das Positive herauszuheben.
Im Folgenden möchte ich nun konkret zu den heutigen Besuchen schreiben.
Vorweg: ich unterrichte drei Schüler, alle in Einzelunterricht. Den Rest der Zeit verbringen sie in der normalen Klasse. Ich unterstütze in Mathe und Englisch, jeden Schüler habe ich von montags bis donnerstags 70 bis 140 Minuten, je nach Tag.

Zuerst waren wir bei James. James ist 14 Jahre alt und in der Form 2 (8. Klasse). Er ist ein aufgeweckter Kerl, ich kann mich in Englisch gut mit ihm verständigen. Wir lesen gemeinsam das Buch für die class 4 (4. Klasse – ich glaube, ungefähr niemand aus der 4. Klasse könnte auf diesem Niveau lesen, James ist für seine Klasse in Englisch wohl eher im Durchschnitt), jeden Abschnitt fasst er zusammen, am Ende beantwortet er Fragen schriftlich. Die Hauptaussagen versteht er, Sätze selbst zu formulieren fällt ihm durchaus noch schwer. In Mathe haben wir das 1x1 gelernt, sowie die schriftliche Multiplikation und versuchen uns gerade an der schriftlichen Division. In etwa so sage ich das auch der Mutter (bzw. Jo, der dann übersetzt). Von der Mutter erfahren wir, dass James Vater in Accra lebt und sie sich alleine um ihn kümmert.
Das ist hier erstaunlich oft so. Kinder wachsen oft gar nicht bei ihren Eltern auf. Teilweise kümmern sich die Großelter, teilweise auch Fremde. Oder wie bei James, nur ein Elternteil. Ich habe Jo vor einiger Zeit gefragt, ob es ein Unterschied für die Kinder sei und wenn ja, was das Beste für sie sei. Er antwortete mir, im Normalfall ist es für die Kinder am besten, bei ihren Eltern aufzuwachsen. Diese kümmern sich um sie und haben ein ehrliches Interesse am Wohlergehen des Kindes. Bei den Großeltern aufzuwachsen sei hingegen zumeist am schlechtesten. Diese hätten nicht genügend Energie, bei den Kindern ausreichend hinterm Lernen und anderem her zu sein, die Kinder hätten zu viel Freiraum, würden nicht genug an die Hand genommen. Irgendwo dazwischen ist das Aufwachsen bei Fremden: diese würden den Kindern meistens nicht erlauben zu machen was sie wollen, stattdessen müssen die Kinder ordentlich mithelfen. Risikofaktor: manchmal passiert es, dass die Kinder nur für die Arbeit ausgebeutet werden und die Fremden keinen Wert auf die education des Kindes legen (ich habe extra nochmal nachgefragt: ja, das kommt hier durchaus vor).
Wenn sie ihn um etwas bittet, hilft er im Haushalt mit. Allerdings lernt er selten und ist oft mit Freunden unterwegs, Samstag oftmals den ganzen Tag schwimmen. Wenn er unterwegs ist, kann er natürlich nicht helfen, wenn gerade was ansteht. Manchmal muss die Mutter ihn gar wiederholen, beschreibt sie, da er so lange weg ist. Generell würde sie sich wünschen, dass er mehr auf sie hört. Ich frage, ob ihm denn jemand bei Hausaufgaben oder z.B. beim Lesen helfen könnte. Es wird deutlich, dass das durchaus schwierig ist. Ein Lehrer unserer Schule wohnt in der Nähe, den hat die Mutter gefragt und er hat wohl Bereitschaft gezeigt. James geht aber nicht zu ihm, weil er weiß, dass dieser ihn schlägt, wenn er die Sachen nicht so ausführen kann, wie dieser sich das wünscht. Sie selbst kann ihm nicht helfen, James kann sicherlich besser Englisch als sie.
Die Bildung der Eltern ist hier oftmals ein großes Problem, beschreibt Jo. Zum einen, weil sie ihren Kindern schon früh nicht mehr weiterhelfen können. Zum anderen, weil sie die education ihrer Kinder oftmals als nicht wichtig genug erachten. Des Weiteren wäre es für die Schüler natürlich ungemein hilfreich, wenn die Eltern mit ihnen Englisch sprechen oder englische Bücher lesen könnten (Bücher sind hier übrigens echt ein Luxusgut, kaum jemand hat überhaupt nur ein einziges zu Hause).
Die Bildung von James ist ihr aber sehr wichtig, auch weil er der Erstgeborene ist und die jüngeren zu ihm aufschauen können sollen, und sie wäre durchaus bereit dafür Geld zu bezahlen – eine konkrete Idee fehlt aber.
Im darauffolgenden Teil ermahnt Jo James mehrfach, er solle auf seine Mutter hören und mehr lernen. Durchsetzt mit der, eher rhetorischen, Frage, warum er dies denn nicht jetzt schon tut. Gegen Ende droht er, wenn er nicht auf seine Mutter hört müsse man halt irgendwann „canen“ (=mit dem Stock schlagen; cane engl. für Stock). Dabei erwähnt er an uns gerichtet, wir können ihn dann zu den anderen Lehrern überweisen sofern er seine Hausaufgaben nicht macht, er wisse ja, dass wir das nicht machen. Daraufhin erwähne ich, dass er auch wisse, dass wir auch das nicht tun werden.
Wir haben Jo noch nie schlagen sehen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass er es (fast) gar nicht macht. Er benutzt es als Drohung.
Ohne konkrete andere Vereinbarungen gehen wir und James zeigt uns den Weg zum nächsten Schüler, Emmanuel.
Ich habe mir in der Zwischenzeit überlegt, ich schaue mit James morgen ob wir in der Library ein Buch finden, was vielleicht auch ein bisschen Spaß macht zu lesen. Dieses kann er dann zu Hause selber lesen und zu jedem Kapitel was aufschreiben. Darüber hinaus ist es glaube ich wichtig, dass er gerade in Mathe – was ihm eher schwer fällt – in der normalen Klasse ist und ich mit ihm anschließend das nacharbeiten kann, was er nicht verstanden hat. Darüber hinaus soll er mir sagen, was er gerne lernen möchte. Und ich gedenke gemeinsam einen Plan zu machen, wie viel er wann zu Hause liest. Sodass er vor Augen hat, was er erreichen möchte und wie das möglich ist (zu Beginn hat James oft seine Hausaufgaben nicht gemacht. Ich schreibe mir in ein Heft immer auf, was wir in der Stunde machen und ob die Schüler die Hausaufgaben gemacht haben. Als ich mich geärgert habe, dass er die Hausaufgaben schon wieder nicht gemacht hat, habe ich ihm gezeigt wie oft er sie jetzt schon nicht hatte. Seitdem markieren wir immer farbig ob er die Hausaufgaben gemacht hat oder nicht – und seitdem hatte er sie fast jedes Mal gemacht).

Als wir bei Emmanuel ankommen, mäht er gerade den Rasen. Gemeinsam gehen wir in den Innenhof, die Großmutter wartet hier bereits auf uns. Sie heißt uns herzlich willkommen
Wir werden hier wirklich immer sehr herzlich willkommen geheißen, egal wo. Sowohl bei den Home Visits, hier bedankt man sich am Ende auch immer sehr freundlich – und ich glaube auch ehrlich, als auch wenn wir sonst irgendwo sind.
und erklärt, dass der Vater im Dorf arbeitet und die Mutter in Accra, sie würde sich hauptsächlich um Emmanuel kümmern. Hier verläuft das Gespräch nun ein bisschen anders: sie lobt Emmanuel ausdrücklich für sein Verhalten, gerade in Bezug auf das Lernen zu Hause. Allerdings hat Emmanuel seit der Kindheit eine Beeinträchtigung, bereits Krabbeln und Gehen hat er später gelernt. So braucht er auch zum Erlernen von neuem Stoff wesentlich länger und ist mit seinen 14 Jahren und seinem jüngeren Bruder in der Form 1 (7. Klasse). Sie beschreibt, dass er sehr bemüht ist, es ihm aber einfach sehr schwer fällt. Ich antworte, dass ihre Beschreibung zu den Erfahrungen passt, die ich in der Schule mache. In Mathe machen wir bereits seit so einigen Woche schriftliche Subtraktion, mal klappt’s besser mal schlechter; in Englisch fällt es ihm unglaublich schwer Buchstaben mit Lauten zu verbinden und Wörter wirklich zu lesen (wir lesen Drei-Buchstaben-Wörter-Geschichten). Dabei möchte er oft auch von sich aus gerne lesen (bei ihm trainiere ich aktuell meine Geduld. Manchmal fällt es mir echt schwer, Sachen das gefühlt ∞ Mal zu erklären und keinen Schritt vorwärts gehen zu können). Ich frage, ob ihn zu Hause jemand unterstützen kann (ja ich weiß, meine Standardfrage :D) und auch mit ihm gemeinsam lesen kann (es muss jemand neben ihm sitzen, glaube ich, wenn er lesen möchte. Er kann sonst zu viele Wörter gar nicht lesen). Die Großmutter sagt, dass sie nicht zur Farm geht
Hier auf dem Land sind die Eltern fast alle Farmer, sofern sie eben nicht in Accra sind. Zumeist leben sie mit mehreren Generationen zusammen und die Eltern sind von morgens früh bis abends auf der Farm; außer mittwochs (also in Guaman). Es gibt immer einen Tag, an dem keiner aus dem Dorf zur Farm geht.
und Zeit hat, sie macht das gerne. Wir vereinbaren, dass ich Emmanuel ein Buch mitgebe. Die Großmutter scheint wirklich sehr interessiert und bemüht zu sein, super! Wir verabschieden uns und Emmanuel bringt uns zu Fianyo, meinem dritten Schüler und ich freue mich: wenn die Großmutter jetzt tatsächlich regelmäßig mit ihm liest, und das glaube ich wohl, hat sich dieser Besuch mehr als gelohnt.

Bei Fianyo angekommen werden wir sofort freundlich begrüßt, uns werden Stühle geholt und wir setzen uns.
Die Familien hier haben immer so einige dieser für uns billigen und einfachen Plastikstühle. Die gibt’s hier überall, egal ob auf der Funeral, der Großveranstaltung oder eben zu Hause – und ich habe mich schon so dran gewöhnt, dass ich über die Unterschiede philosophieren kann :D
Die Mutter wird geholt und wir erfahren, dass Fianyo ihr nichts erzählt hat und er selbst auch gar nicht zu Hause ist. So unterhalten wir uns nur mit ihr, drumherum sitzen ein paar andere Erwachsene, unter anderem der Großvater. Wir erfahren, dass Fianyo morgens zwar Wasserholen geht
Die Familien haben hier zumeist keinen Wasseranschluss. Sie müssen zum nächsten Fluss oder Brunnen gehen und Wasser zum Trinken, Waschen, Duschen, Kochen etc. holen. Zumeist machen das die Kinder. Elektrizität haben die meisten, lediglich die sehr kleinen Dörfer die zumeist höher an oder auf den Bergen liegen, haben teilweise gar keinen Strom. Der Strom fällt hier allerdings durchaus regelmäßig aus.
danach aber nicht mehr mithilft beim Saubermachen und Kochen. Nachmittags geht er zumeist zu seinem Großvater und macht dort mit Patrick, wenn ich es richtig verstanden habe ist das sein Cousin, Hausaufgaben. Dieser ist in der Form 2 und kann Fianyo durchaus helfen.
Als ich erzähle, dass ich ihn gerade in Mathe als durchaus intelligent aber oftmals langsam einschätze, wird mir direkt zugestimmt. Weitergehend berichte ich, dass wir in Englisch viel gemeinsam lesen (wir lesen gemeinsam das Buch für die class 2) und er sich Schritt für Schritt beim Verstehen verbessert und es ihm schwer fällt eigene Sätze zu schreiben, auch das verbessern wir durch viel Übung langsam. Nach ein paar weiteren Sätzen verabschieden wir uns und machen uns auf den Heimweg.
Gut zwei Stunden waren wir unterwegs und ich bin zufrieden. Ich habe das Gefühl, die Besuche haben etwas gebracht. Und es ist auf jeden Fall spannend, die Schüler, mit welchen man jeden Tag in der Schule gemeinsam lernt, zu Hause zu erleben.

(geschrieben am 16. November – Jona)

Mittwoch, 16. November 2016

21 Stunden unterwegs

Franzis und ich sind am Samstag nach Accra gefahren, um einem Lehrerworkshop beizuwohnen. In Guaman gibt es eine Bank, dessen Besitzer (ein Deutscher, aber dazu später mehr) die Schule in einigen Punkten finanziell unterstützt. So wurden viele Bücher gesponsert und eben auch der Workshop am letzten Samstag. Mit einem Trotro der Bank konnten alle Lehrer aus der Primary sowie aus der JHS nach Accra zum Workshop fahren und danach zurück. Wir vereinbarten am Donnerstag, dass wir telefonisch noch genauer abmachen, wann wir abgeholt werden – klar war nur, tief in der Nacht von Freitag auf Samstag.
Freitag, circa 12:30h: das Vodafone Netz bricht komplett zusammen. Wir warten bis acht Uhr in der Überzeugung, dass Netz kommt bestimmt wieder (das bisher einzige andere Mal war es nur für circa drei Stunden weg) – vergeblich! Natürlich muss das Netz genau jetzt zusammenbrechen :/ Wir versuchen über Centermitarbeiter Jo anzurufen und über ihn Lehrer aus Guaman zu erreichen (die Einheimischen haben in der Regel Handys mit Platz für zwei Sim-Karten; zumeist besetzt mit einer MTN und einer Vodafone Karte) – vergeblich. Frustriert überlegen wir und entscheiden uns, um drei Uhr mitten in der Nacht abfahrbereit zu sein – in der Hoffnung, dass man uns auch tatsächlich abholen kommt. Vorher sagen wir noch dem – übrigens echt super lieben – Security man Samson Bescheid, wenn mitten in der Nacht ein Trotro kommt, möge er es doch bitte zu uns führen, wir wären wach. Wir schmieren uns Brote für morgen (nach gefühlt drei Stunden des Kochens sah mein Omelett zwar immer noch aus wie Rührei, war aber im Gegensatz zu der verbrannten Version wenigstens essbar) und dann funktioniert das Netz plötzlich wieder! Noch bevor wir Tutu anrufen, kommt Samson rein und sagt uns, der Driver der Bank hat ihn gerade angerufen, Abfahrtszeit morgen 1:30 – mein Gesichtsausdruck entgleitet. Ich weise ihn dezent darauf hin, dass das nun wirklich keine erfreuliche Nachricht ist, versichere aber, dass wir wach im Wohnzimmer warten werden.
Als das Trotro am nächsten Morgen, naja eher mitten in der Nacht, da ist, bin ich natürlich noch nicht im Wohnzimmer gewesen und beeile mich, schnell rauszukommen. Los geht’s!
Der Bank Manager (nicht der Besitzer) sitzt vorne im Auto und sagt uns wir sollen uns in die erste Reihe setzten. Auf dem Weg nach Guaman klatscht mein Bein so oft an das Metall direkt vor meinen Beinen, dass ich darum bitte mich weiter nach hinten setzen zu können. Wir sollen uns in Guaman auf jeden Fall direkt nach vorne setzen. Hmm, eigentlich will ich einfach nach hinten. Ich versuche zweimal ihm deutlich zu machen, dass nach hinten gehen vollkommen reichen würde und ich gar nicht nach vorne will, gebe dann aber auf. Also setzten wir uns in Guaman nach vorne – in einem Sprinter sind das übrigens schon die mit Abstand bequemsten Plätze ;)
Die meisten Lehrer steigen hier zu und fabrizieren in den nächsten zwei Stunden einen Höllenlärm – und das mitten in der Nacht. Ich bin wenig begeistert, aber nun gut, was will man schon machen. Also verweile ich im Halbschlaf und hoffe einfach, dass wir unserem Ziel näher kommen. Nach den beschriebenen zwei Stunden wird es dann auch ruhiger und ich komme dem Zustand des Schlafens etwas näher. So sind die sechs Stunden Fahrzeit halbwegs erträglich. In Accra angekommen lässt man uns erstmal eine halbe Stunde vor der Tür warten – die hätte ich lieber in meinem Bett verbracht! Ich verschlinge einen Teil meines Frühstücks, während Franzis angesprochen wird, ob wir denn einen Workshop leiten würden – wir sind halt nun mal auch weiß. Apropros weiß – das ist in Accra echt immer ein „Kulturschock“: so viele Weiße zu sehen ist man einfach nicht mehr gewöhnt.
Als wir dann in die Schule reingelassen werden – ein riesiger Komplex von Kindergarten bis zur zwölften Klasse, bekommen wir gut organisiert Namensschild und Block inklusive Programm und anschließend unser Frühstück. Während die anderen in der Aula warten schaue ich mich ein bisschen um. Ein kleines Schwimmbecken, ein überdachter Basketballplatz, ein sehr europäisch anmutender Spielplatz und ein Fußballplatz. Dieser wird gerade bewässert und fünf kleine weiße Kinder werden von drei dunkelhäutigen trainiert. Die Eltern gucken von der Tribüne aus zu. Neben dem Fußballplatz suche ich die Toilette auf. Unter den Waschbecken finden sich kleine Holzschränkchen – wie bei Oma :D – und neben dem Waschbecken hängt ein Schild zum richtigen Händewaschen (inkl. 20 sekündigem Einseifen) – fast das gleiche hängt auch in meiner alten Schule.
Wieder in der Aula angelangt geht es bald los. Wir werden begrüßt und bekommen erste Aufgaben im Plenum: eine Definition von „Transferable Skills“ (Thema des Workshops) in eine Skizze umsetzen; aus einer Sammlung von Begriffen einen aussuchen und aufschreiben, warum wir gerade diesen für wichtig halten (ich entscheide mich übrigens für „Questioning“ :D) – und dann jeweils über unser Ergebnis ins Gespräch kommen. Schnell merken wir, dass solche Aufgaben hier für die Lehrer eher ungewöhnlich sind. Die Lehrer aus Guaman schreiben die Definition erstmal ab. Nach einiger Zeit hat einer eine Skizze fertiggestellt, ich lausche gespannt der Erklärung. Pfeile gehen vom Lehrer zu den Schülern und zurück: Die Schüler lernen von uns und wir von Ihnen. Organisiert wird die Fortbildung von „Beyond the Book“, kommt mir irgendwie bekannt vor – Google Time: Englische Organisation. Keine Ahnung, ob die tatsächlich auch schon mal in Deutschland was gemacht haben.
Kurze Zeit später gehen wir in die Klassenräume – hierfür werden alle Workshop-leiter auf die Bühne gerufen. Fast die Hälfte sind Weiße, unter den circa 400 Teilnehmern hingegen ist kaum einer zu finden. Im Klassenraum angekommen, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus:
an der Wand hängen Plakate zum Thema lernen, gespickt mit Zitaten von Einstein, Lincoln, etc. Der Raum ist mit Klimaanlage ausgestattet und angenehm heruntergekühlt, so lässt es sich lernen! Der Klassenraum verrät schon, dass hier nicht allzu viele Schüler lernen (später erfahre ich, zumeist um die 15). Zur Standardausstattung gehören hier zwei Whiteboards, Bücherregale mit Büchern (ja, es macht Sinn zu erwähnen, dass hier in den Bücherregalen auch Bücher sind; ich habe hier durchaus schon anderes erlebt) eine Dokumentenkamera, installierte Boxen und ein MacBook Pro; alles je Klassenraum, versteht sich.
An der Wand hängen Plakate zum Umgang mit sozialen Medien und welche mit Sprüchen wie „Be the change you want to see in the world“ oder „Be yourself“. Hier ist es ja westlicher als im Westen! Viele Eindrücke strömen auf mich ein: Wenn unsere Schüler Namen wie Einstein oder Lincoln nur kennen würden – wenn es an ländlichen Schulen nur solch eine finanzielle Unterstützung, und mit ihr verbunden, eine solche Ausstattung gäbe – wenn es diese Einstellung, die Schüler zum Sein (to be) und anderssein (s. Giraffe unter Zebras) nur gäbe – wenn Schüler soziale Netzwerke so nutzen könnten. Eine unfaire Welt, in der wir alle leben (ich habe das Gefühl, dass ich dieser „Unfairness“, oder besser Chancenungleichheit, hier direkter begegne, ihr quasi ins Gesicht schauen darf und muss)! Es ist Zeit für die zweite Google Time: die Lincoln Community School Accra hat natürlich einen eigenen Wikipedia-Artikel, auf dem ich auch schnell die Begründung finde. Die Schule gehört – wie der Name erahnen lässt – zu den Amis und unterhält unzählige Verträge zu Botschaften, NGO’S, etc. 20% der Schüler sind Amerikaner, 14% Ghanaer und die restlichen zwei Drittel bunt durchmischt.
Der Workshop plätschert so vor sich hin (vielleicht schreibe ich später nochmal ein paar Zeilen dazu; in meinen Augen gibt er nicht so viel her, lediglich die Überschrift und Ausgangsthese – Menschen sind unterschiedlich und müssen unterschiedlich unterrichtet werden – finde ich super) und der Leiter, Lehrer an der Lincoln Community School, erzählt vor allem gerne von sich selbst. Mittagessen ist angesagt, und es schmeckt wirklich gut ☺.
Wir sitzen in der Nähe einer Mülltonne und ich schaue skeptisch zu, wie der Papier- und Plastikmüll in eine Tonne mit der Beschriftung „Glas only“ geschmissen wird. Eine Frau sieht mich, lächelt und schmeißt ihren Müll in eine andere Tonne :D. Die Mülltonnen sind übrigens made in Germany – Export von Hochkomplizierten Maschinen war gestern, heute ist Mülltonnenexport angesagt! In der Mittagspause schauen Franzis und ich gemeinsam über den Büchermarkt und stellen fest, dass wir für die Bücherei mal ein paar nette Bücher kaufen sollten, sowas wie Gregs Tagebuch oder Bücher von Enid Blyton; und nicht immer nur wissenschaftliche oder moralisierte und belehrende Bücher für Jugendliche.
Nach dem Mittagessen geht der Workshop noch kurz weiter, bevor wir wieder in die Aula sollen. Unsere Gruppe macht sich aber bereits jetzt auf den Rückweg. Die – übrigens sehr edel anmutenden – Urkunden wurden für uns bereits eingesammelt und wir wollen gerade zum Trotro gehen, als sich der Bankbesitzer uns vorstellt. Ein netter Herr, wir wechseln in der Eile ein paar freundliche Worte und er sagt, dass er in ein, zwei Wochen mal nach Guaman kommen werde und uns dann auch in der Schule treffen werde, wir sind gespannt. Irgendwie cool ein paar Wörter auf Deutsch zu wechseln.
Die Rückfahrt ist mit der Hinfahrt sehr vergleichbar und nach gut sechs Stunden kommen wir erschöpft an – gut 21 Stunden waren wir unterwegs. Die Freude auf das warme und weiche Bett ist groß und nach dem Abendessen legen wir uns auch sogleich hinein.

Samstag, 12. November 2016

Accra 2.0

Jan und ich haben uns am letzten Freitag auf den Weg nach Accra gemacht; Anlass: mal wieder mein Handy.
Unser Wecker hat um kurz nach fünf geklingelt- wir wollten das Trotro, welches aus Kadjebi direkt nach Accra fährt erwischen und die Information war, dass wir dann schon um kurz nach sechs da sein sollten. Fast in deutscher Pünktlichkeit waren wir da und mussten enttäuscht feststellen, dass noch fast niemand für das Trotro nach Accra da war und es besonders groß war (20 statt der üblichen 14 Plätze). Wir folgten also dem Tipp, über Hohoe zu fahren und begutachteten noch die gerade aufgegangene Sonne, bis es losging.
In Accra angekommen besorgte uns der Trotrofahrer gleich ein innerstädtisches Trotro was uns dann zum sehr lebendigen Circle gebracht hat. Dort angekommen, wir sind jetzt bereits gut acht Stunden unterwegs, machen wir uns auf die Suche nach dem Handytypen. Ich bin froh im Hinterkopf zu haben, dass wir Jo anrufen können, wenn wir seiner Wegbeschreibung nicht folgen können. Wir fanden ihn dann aber und für mich begannen satte drei Stunden des Bangens. Nach gut einer Stunde gab er an fertig zu sein, ich überprüfte und tatsächlich lud es. Wir gingen gemeinsam gegenüber ins Internetcafe. Dort stellte ich fest, dass die Selfiekamera nicht mehr funktioniert. Frustriert gehe ich zurück, während Jan fröhlich mit seiner Freundin skypt (zugegeben, das Skypen hat selbst in Accra nur mäßig geklappt). Ich warte knapp zwei Stunden und sehe zu, wie das Handy unzählige Male auf- und wieder zugeschraubt wird. Zwischendurch versucht er mir zu verklickern, dass die Kamera nach einem reset des Smartphones ganz bestimmt wieder funktionieren würde. Damit gebe ich mich nicht zufrieden; das Handy wird noch mehr auseinandergenommen als zuvor, über die Kontakte grob mit dem Schlüssel drübergefahren und ich frage mich, ob es nicht doch besser gewesen, einfach zu akzeptieren das die Selfiekamera halt nicht mehr funktioniert.
Aber tatsächlich, nach dem Zusammenbauen funktioniert alles wieder (in seiner entspannten Art beweist der erfolgreiche Reparateur es mir auch gleich mit einem gemeinsamen Selfie:D). Es wird bereits dunkel und wir machen uns auf den Weg zum Hostel, ich benutze mein bereits gekauftes Guthaben für das Internetcafe nicht mehr und bin heilfroh als ich auf meinem Bett sitze. Nach einer kurzen Pause machen wir uns auf und kaufen an der bereits bekannten Straße wieder was zu essen. Außerdem treffen wir noch zwei Freiwillige aus Deutschland, mit denen wir uns noch nett unterhalten und anschließend zwar ihre Strandlage beneiden, aber trotzdem feststellen, dass unser Projekt in allen anderen Bereichen doch deutlich cooler ist ☺.
Für Samstag hatten wir uns einen entspannten Tag am Meer vorgestellt. Da meine Sim-Karte einen Wackelkontakt aufwies – ich hoffte wenigstens, dass es an der Karte lag und nicht am Handy; aber sie hatte vorher auch schon rumgespackt – gingen wir noch zu Vodafone. Ich zitterte wieder – die Mitarbeiter kriegten das Problem irgendwie nicht in den Griff – und ich hatte Angst, dass es vielleicht doch am Handy liegt. Nach einiger Zeit habe ich dann eine neue Sim-Karte gekauft und diese funktioniert wunderbar.
Wir suchten ein Trotro und fuhren zu dem sauber gemachten Strand mit 2,50€ Eintritt. Wir haben uns den Tag über echt gut am Meer entspannt, die Wellen genossen und ich war zwischendurch eine Runde joggen – kurzum, wir hatten einen echt schönen Nachmittag. Und wir haben immer noch was davon, etwas rotes und das trotz Sonnencreme. Naja, das war’s wert, und es wird schön braun (Jan möchte hierzu anmerken: „also ich hätte trotzdem auf den Sonnenbrand verzichten können :D“) ;)
Abends haben wir dann wieder an der Straße was gegessen (auf Reisen genießen wir immer die Snacks und Imbisse, die hier an den Straßenecken angeboten werden) und uns im Supermarkt für die nächste Zeit mit Erdnussbutter, Schokoaufstrich und Marmelade (original Schwartau made in Germany im Sonderangebot für 1,50€!! ☺; normalerweise ist die Importware hier eher teurer als in Deutschland) eingedeckt.
Im Shopping-Center fand gerade eine Mode-, Kultur- und Musikshow statt. Wir blieben ein bisschen stehen und schauten interessiert einigen Acts zu. Wir wurden – erneut – aufmerksam auf Kontraste und Spannungsverhältnisse innerhalb dieses Landes (Accra und der ländliche Teil) und der Welt („ghanaische“ und „westliche“ Kultur sowie Mode). Wir waren dankbar für diesen Einblick und machten uns auf den Weg in unser Bett.
Am Sonntag morgen haben wir uns dann – nachdem wir entspannt ausgeschlafen haben – auf den Rückweg gemacht.

(Jona)

Dienstag, 1. November 2016

Gefroren :0

Prolog: Hier in Ghana ist es echt warm; immer! Wir befinden uns in den Ausläufern der Regenzeit (die kommende Trockenzeit wird wärmer als das bisher erlebte), wir haben bisher so ungefähr jeden Tag unsere Klamotten vollgeschwitzt und meinen Pullover nutze ich wenn ich abends telefoniere; nicht wegen der Kälte, sondern wegen den Mücken (ich habe leider kein langarm Shirt eingepackt :/).

Freitag morgen haben wir uns auf den Weg gemacht, unser Ziel Kpandu (Kp wird hier als explosives P gesprochen ;)). Nach gut drei Stunden Trotrofahrt waren wir angekommen und hatten auch bald die Unterkunft bezogen (wir wollten sie uns eigentlich nur telefonisch reservieren, aber die Telefonnummer aus dem Reiseführer existierte nicht mehr; also sind wir kurzerhand dort vorbei). Wir liefen die paar hundert Meter ins Zentrum zurück um die Stadt zu „besichtigen“. Das ist hier ein bisschen anders: die „Architektur“ ist nahezu ausschließlich funktional, Museen oder andere öffentliche Einrichtungen gibt es vielleicht ein paar in Accra (okay, in ein paar mehr Städten); aber nicht in Kpandu.
Eine alte katholische Kirche aus der deutschen Kolonialzeit wurde also besichtigt (irgendwie ein spannendes Gemisch aus europäischem Kirchenbau und eher afrikanischer Innenausstattung) samt nebenstehendem verwesten – vermutlich aus gleicher Zeit stammendem – Gebäudekomplex. Zu „besichtigen“ ist hier also „das Leben“ und bunte, vielfältige Märkte.
Wir suchten uns ein Taxi, um uns ins vier Kilometer entfernte Kpandu Torkor aufzumachen, der am Voltasee (wer es noch nicht mitbekommen hat: der oberflächengrößte künstliche Stausee der Welt) liegende Hafen der Stadt. Der Reiseführer pries den Markt hier an und gab die sehr präzise Zeitangabe, dieser würde alle vier Tage stattfinden. Irgendwie ein schlechter Scherz. Aber es scheint zu stimmen, wir haben uns das wie folgt erklären lassen: ein Tag Schiffe raus (der Markt verkauft natürlich hauptsächlich Fisch), ein Tag Schiffe rein, ein Tag Markt, ein Tag relaxen; und dann wieder von vorne. Naja, wir hatten auf jeden Fall kein Glück und die kleine Siedlung lag ziemlich still und menschenverlassen da.
Wir gingen ein paar Meter weiter und kamen zum Volta.
Der Reiseführer hatte noch einen zweiten Tipp: sich von den Fischern mit einem Kanu zu einer der Inseln bringen lassen. Das hörte sich irgendwie echt cool an und der See machte auch wohl Lust. Also haben wir einen Fischer, der gerade an seinem Motor rumbastelte gefragt, ob das denn wohl möglich sei. Sein Motor war gerade kaputt, aber nach einiger Zeit hatte er einen Kollegen organisiert, der gleich mit seinem Boot ankam. Trotz um den Preis feilschen (als Obruni sollte man das hier – zumindest immer mal wieder - machen, sonst wird man noch gnadenloser als auch mit Feilschen über’n Tisch gezogen) vereinbarten wir, ihm stolze 120 GHC für zwei Stunden zu zahlen (Damit hätte man zu viert 15 Mal die vier Kilometer im Taxi zwischen Kpandu und Hafen zurücklegen können).
Hinter uns sah der Himmel zwar ein bisschen dunkel aus, aber da das Wasser in unsere Richtung schwappte, war ich mir doch wohl sicher, dass das „Dunkle“ wegzieht.
Wir hatten uns für die zweite Insel entschieden („alle Weißen wollen da hin, da gibt es mehr zu sehen“) und ich war ein bisschen überrascht, dass der Fischer trotzdem die erste – wesentlich kleinere, nur aus ein paar Sträuchern und Bäumen bestehende – Insel ansteuerte. Nach einer kurz anhaltenden Verwirrung hatten wir raus warum: der Wind wurde zu stark, wir müssten warten bis dieser aufhört, bevor wir weiterkönnen. Die schlechte Nachricht dabei: der Wind wird erst aufhören, wenn die Wolken sich ausgeregnet haben. Was in so Wolken drinstecken kann, echt unglaublich! Wir haben uns zwar unter Bäumen untergestellt, wurden aber trotzdem klitschnass. Circa eine Stunde (!) standen wir im Regen. Es ist hier ja echt nicht so, dass man sich nicht ab und an – oder auch ganz schön oft – eine Abkühlung wünscht. Aber der kühle Regen kam natürlich mit kühlem Wind, insgesamt nahmen die zuvor angenehmen Temperaturen deutlich ab. Das führte dazu, dass ich mich zusammen kauerte und zitterte sowie blaue Lippen bekam. Und auch bei den anderen sah es nicht viel anders aus. Nur Jan redete sich mehr oder weniger erfolgreich ein, so kalt wäre es gar nicht :D Unser Frieren verband sich mit der Angst um unsere Wertsachen, niemand hatte so hundertprozentig dichte Taschen dabei (alles heil wieder zu Hause). Nunja, die Stunde dauerte schon echt lange, aber irgendwann war auch diese rum; mein erstes „frier-Erlebnis“ hier in Ghana – und vielleicht auch mein letztes (wir werden im Winter (<- also in eurem), so um Weihnachten herum im warmen Meer bei hitzigen Temperaturen uns abkühlen und uns dabei einen kühlen Cocktail gönnen, Berichte folgen :P).
Auf der zweiten Insel (hier wohnen über 500 Menschen) sind Jan und ich noch baden gegangen. Der See war wie eine warme Badewanne (keine Ahnung wo der kalte Regen reingeregnet hat). Es war einfach ein Genuss! :-). Danach ging es wieder zurück. Wir alle fanden den Trip kalt – aber auch echt cool! Quasi unwissend das Abenteuerpaket gebucht, es hat wirklich Spaß gemacht; und drei Tage später sind auch noch alle gesund!
Abends haben wir an der Straße etwas zu essen gefunden und waren früh schlafen. Am nächsten Morgen haben wir uns noch eine kleine Töpferei und eine christliche Grotte (Nachbildung der Grotte aus Lourdes) samt riesiger Madonna-Figur angeguckt, bevor es wieder zurück ging.
Ein netter zwei-Tages-Trip!


(Jona)