Dienstag, 30. August 2016

Orientation meeting

Gestern vereinbarten wir, uns heute um 10:00 Uhr zum orientation meeting zu treffen. Den Ort haben wir wohl auch vereinbart, allerdings wussten wir vier ihn heute morgen nicht mehr. So irrten wir im Regen über das Center-Gelände und suchten Monsignor vergeblich. Eine Dreiviertelstunde später wurden wir über die Küche gerufen, ließen uns den Weg erklären und gingen zur Office, wo Monsignor und Joseph ihre Büros haben und uns bereits erwarteten. Wir bekamen einen Ablauf in die Hand gedrückt und da sich keiner meldete, sprach Monsignor das Gebet. Nachdem er uns willkommen geheißen hatte startete er mit der self evaluation, danach waren wir dran. Demnach geht es uns allen physisch wie psychisch gut, niemand hat einen Kulturschock erlitten, wenngleich das „Anderssein“, auffallen und gerufen werden (Obruni) für uns alle noch gewöhnungsbedürftig ist. Wir hoffen auf viele spannende Erfahrungen mit der Kultur und den Menschen, Erlernen des Englischen und Freundschaft mit uns umgebenden Menschen.

Hierauf folgte eine längere Einführung Monsignors in die ghanaische Kultur und deren Umgangsformen, gespannt lauschten wir.
Grüßen ist hier sehr wichtig, man grüßt Leute auch wenn man sie nicht kennt. Bereits bei unseren ersten gemeinsamen Erkundungen waren wir erstaunt, wie viele Leute Monsignor grüßt; dies können wir uns nun besser erklären. Kinder hingegen grüßt man nicht, man fragt stattdessen „how are you?“. Generell stellt man diese Frage eher jüngeren und grüßt Ältere.
Spannend fand ich auch das „Heiratssystem“: es gibt hier drei Möglichkeiten, nach denen man heiraten kann: 1. Customery marriage, 2. Church marriage und 3. Court marriage. Erstere Bedeutet, dass die Familien der Ehe zustimmen, sich treffen und eine Art Mitgift geben; bereits hiernach nennt sich das Paar Frau und Mann. Einen offiziellen Charakter hat dies nicht. Es ist möglich, diese Ehe zu trennen und eine neue zu schließen. Bevor dies allerdings passiert, setzt man sich in der Regel mit den Familien zusammen, hört sich das Problem von beiden Seiten an und versucht eine gemeinsame Lösung hierfür zu finden. Denn hier heiratet man nicht „alleine“, sondern „mit“ der ganzen Familie. Wie so oft, hat dies aus meiner Sicht beiderlei Seiten. Auf der einen Seite finde ich es beeindruckend, dass die Familie gerade in schwierigen Situationen hinter einem steht und die Kultur es gebietet, dass auf eine so starke Art und Weise geholfen und unterstützt wird. Auf der anderen Seite muss man sich als Kind auch „reinreden“ lassen, wenn man heiraten möchte. Eine Heirat geht nur, wenn die Familie (!) zustimmt. Familie bedeutet hier übrigens nicht nur die Eltern, wenn die Tante nein sagt, wird es schon schwierig, aber dazu später mehr. Auch wenn es eigentlich verboten ist, haben Männer hier teilweise mehrere Frauen, normal ist das allerdings nicht. Die Church marriage kann zumindest in der katholischen Tradition nicht einfach geschieden und neu geschlossen werden. Wohl ein Grund, warum viele Menschen, auch wenn sehr katholisch und jeden Sonntag in der Kirche, diese nicht schließen und daraufhin auch nicht zur Kommunion gehen. Die katholische Kirche versucht hier derzeit, die Court marriage (vergleichbar mit unser staatlichen) bei der kirchlichen gleich mitzuschließen. Wenn es zu einer Scheidung kommt, hilft der Staat dann nämlich dabei, den Besitz zu verteilen. Wenn diese nicht geschlossen ist, kommt es in Ghana öfter zu Problemen, denn hier gibt es Gebiete in denen „patrimonial inheritance“ und welche in denen „maternal inheritance“ herrscht. Je nachdem in welchem Gebiet man lebt, wir wohnen übrigens in ersterem, kommt die Familie des Mannes oder die der Frau und nimmt sich das ganze Hab und Gut, die andere Seite geht leer aus.
Auch in dem Gebiet wo wir leben werden immer wieder neue Kirchen und andere Gotteshäuser gebaut, es gibt die unterschiedlichsten Religionen. Für mich drängt sich die Frage nach dem zusammenleben auf – Monsignor versichert, dass hier ein friedliches Zusammenleben gut funktioniert. Heiraten Menschen auch zwischen Religionen? – muslimische Männer heiraten durchaus katholische Frauen, versuchen diese dann in der Regel in ihren Glauben zu konvertieren. Andersrum gibt es das quasi gar nicht.
Bei öffentlichen Anlässen werden aufgrund der unterschiedlichen Religionen immer drei Gebete gesprochen: ein christliches, ein muslimisches und eines für die verstorbenen Ahnen. Der letzte, streng christliche Präsident versuchte drittes abzuschaffen – scheiterte jedoch an vielen Protesten.
Jede Region hat hier einen Chief. Dieser ist vergleichbar mit europäischen Royals. Er bestimmt über das Land und hat einen entscheidenden Einfluss in seiner Region. Diese Chiefs gibt es in allen Regionen, so auch in Accra. Wenn er über ein etwas größeres Gebiet bestimmt, setzt er für die einzelnen Städte Vertreter ein, welche sich dort um alle Angelegenheiten kümmern. Wenn man in eine Region kommt und dort verweilt, stellt man sich beim Chief vor, wie wenn man bei jemandem zu Gast ist – das müssen wir die nächsten Tage wohl auch noch machen.
Beerdigungen werden hier groß gefeiert – Geburtstage hingegen kaum. Monsignor erklärt, dass sie versucht hätten dies zu ändern, man möchte eine größere Wertschätzung für das Leben erreichen – erfolglos. Bereits auf unserer ersten Funeral haben wir im Anschluss aber auch Frauen intensiv schluchzen sehen, diese Extremität des Feierns auf der einen und Trauerns auf der anderen Seite hat mich verwundert. Auf meine Nachfrage hin inwiefern man denn auch trauere, bezeichnet Monsignor Funerals als „crying parties“. Es gibt irgendwie einen „Gefühlsmischmasch“, Freude und Party auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber gerade bei der Familie auch starke Traue, dass die geliebte Person nicht mehr unter ihnen ist. Irgendwie schwer zu fassen diese Gegensätze, finde ich. Und zugleich auch schön, dass der Glaube dazu führt, dass man auch im Tod sehr deutlich positive Aspekte erkennen kann.
Ganz wichtig, die linke Hand ist für die Toilette – das bedeutet nur die rechte wird benutzt zum Geben und Nehmen von Dingen, zum Essen etc. Das werden wir vermutlich noch das ein oder andere Mal falsch machen, aber wir geben unser Bestes ;)
Wie bereits angesprochen, hat die Familie hier einen anderen Stellenwert; wobei damit vor allem die Großfamilie gemeint ist. Wenn die eigenen Eltern sich zum Beispiel wenig um einen kümmern ist es durchaus üblich zu Tante und Onkel zu ziehen. Oder wenn eine andere Familie näher an der Schule liegt, wird man manchmal von dieser in die Familiengemeinschaft aufgenommen, sodass es weiterhin möglich ist zur Schule zu gehen. Des Weiteren ist es üblich, den Onkel Vater zu nennen und andersrum das der Onkel einen Sohn nennt; und dass man zu seinen Cousinen Schwester sagt usw. Diese werden dann oftmals auch so vorgestellt; wenn uns jemand als Vater vorgestellt wird, kann es also durchaus sein, dass er biologisch der Onkel ist.
Teil des Respekts gegenüber Älteren ist, dass diese Jüngere schicken können, Dinge zu holen oder ähnliches. Dieser Respekt gegenüber Älteren ginge allerdings mehr und mehr verloren, so Monsignor. Einige bedauern dies wohl, was ich auch aus unserem Land kenne :o
Weiter zur Kindererziehung: Schlagen sei mittlerweile verboten, werde aber teilweise sowohl in der Schule als auch zu Hause noch angewandt.
Jemanden z.B. als dick zu bezeichnen, welcher dick ist, ist hier völlig normal und wird als Spaß verstanden; irgendwie eine komische Vorstellung, aber wir werden es wohl erfahren.
Zu guter Letzt, womöglich wichtig für alle mit Freund oder Freundin: in der Öffentlichkeit küsst man sich nicht, auch nicht als Ehepaar.
Monsignor glaubt alles Wichtige gesagt zu haben, wir haben fleißig notiert und werden versuchen alles umzusetzen.

Nun ist Joseph dran, er stellt uns das Projekt vor, wie es bisher war:
Dieses gibt es seit 2000, es wurde ins Leben gerufen, da man festgestellt hat, dass die Landbevölkerung oft nicht so viel Wert auf education legt, die Kinder oft nicht zur Senior High School (vergleichbar mit unser Oberstufe) gehen (dies hat teilweise auch finanzielle Gründe). Das Projekt versucht, diesem entgegenzuwirken. Joseph arbeitet als career guidance (eine Art Berufsberatung) an zwei Schulen, gemeinsam machen wir home visits, Elternabende werden organisiert, Büchereien eingerichtet. Wir arbeiten an vier Tagen in der Woche an zwei Schulen mit dem Ziel, in der Junior High School die Schwächsten zu unterstützen und den Besten die Möglichkeit zu geben, den Sprung zur Senior High School zu schaffen. Des Weiteren sind wir an zwei Nachmittagen in einem anderen Ort, dort betreuen wir eine mobile Bücherei und unterstützen beim Lesen und Schreiben lernen einiger Schüler. Darüber hinaus werden Alleinerziehende unterstützt, Kranken wird geholfen und Behinderte werden gezielt längerfristig unterstützt. Nun liegt es an uns, uns in diesem Rahmen gut einzubringen und gut mitzuhelfen. Joseph betont mehrmals, dass er sich wünscht, dass wir als Team gut zusammenarbeiten; ein Wunsch den wir alle teilen und der mich hoffen lässt, dass wir eine angenehme Zusammenarbeit genießen können. Überhaupt finde ich Joseph ruhige und zugleich offene (und viel lachende Art) ausgesprochen angenehm, ich freue mich auf das gemeinsame arbeiten und glaube, dass wir viel von ihm lernen können.
Die anderen Programmpunkte werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben – das wichtigste ist besprochen und es ist bereits halb zwei. Auf dem Rückweg holen wir direkt unser Essen aus der Küche ab.

(Jona)

1 Kommentar:

  1. Cool, das so mitzuerleben & zu erfahren!
    Und total gespannt, in welche Fettnäppfchen ihr trotz der ausführlichen Einführung so treten werdet ;-)

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