Mittwoch, 16. November 2016

21 Stunden unterwegs

Franzis und ich sind am Samstag nach Accra gefahren, um einem Lehrerworkshop beizuwohnen. In Guaman gibt es eine Bank, dessen Besitzer (ein Deutscher, aber dazu später mehr) die Schule in einigen Punkten finanziell unterstützt. So wurden viele Bücher gesponsert und eben auch der Workshop am letzten Samstag. Mit einem Trotro der Bank konnten alle Lehrer aus der Primary sowie aus der JHS nach Accra zum Workshop fahren und danach zurück. Wir vereinbarten am Donnerstag, dass wir telefonisch noch genauer abmachen, wann wir abgeholt werden – klar war nur, tief in der Nacht von Freitag auf Samstag.
Freitag, circa 12:30h: das Vodafone Netz bricht komplett zusammen. Wir warten bis acht Uhr in der Überzeugung, dass Netz kommt bestimmt wieder (das bisher einzige andere Mal war es nur für circa drei Stunden weg) – vergeblich! Natürlich muss das Netz genau jetzt zusammenbrechen :/ Wir versuchen über Centermitarbeiter Jo anzurufen und über ihn Lehrer aus Guaman zu erreichen (die Einheimischen haben in der Regel Handys mit Platz für zwei Sim-Karten; zumeist besetzt mit einer MTN und einer Vodafone Karte) – vergeblich. Frustriert überlegen wir und entscheiden uns, um drei Uhr mitten in der Nacht abfahrbereit zu sein – in der Hoffnung, dass man uns auch tatsächlich abholen kommt. Vorher sagen wir noch dem – übrigens echt super lieben – Security man Samson Bescheid, wenn mitten in der Nacht ein Trotro kommt, möge er es doch bitte zu uns führen, wir wären wach. Wir schmieren uns Brote für morgen (nach gefühlt drei Stunden des Kochens sah mein Omelett zwar immer noch aus wie Rührei, war aber im Gegensatz zu der verbrannten Version wenigstens essbar) und dann funktioniert das Netz plötzlich wieder! Noch bevor wir Tutu anrufen, kommt Samson rein und sagt uns, der Driver der Bank hat ihn gerade angerufen, Abfahrtszeit morgen 1:30 – mein Gesichtsausdruck entgleitet. Ich weise ihn dezent darauf hin, dass das nun wirklich keine erfreuliche Nachricht ist, versichere aber, dass wir wach im Wohnzimmer warten werden.
Als das Trotro am nächsten Morgen, naja eher mitten in der Nacht, da ist, bin ich natürlich noch nicht im Wohnzimmer gewesen und beeile mich, schnell rauszukommen. Los geht’s!
Der Bank Manager (nicht der Besitzer) sitzt vorne im Auto und sagt uns wir sollen uns in die erste Reihe setzten. Auf dem Weg nach Guaman klatscht mein Bein so oft an das Metall direkt vor meinen Beinen, dass ich darum bitte mich weiter nach hinten setzen zu können. Wir sollen uns in Guaman auf jeden Fall direkt nach vorne setzen. Hmm, eigentlich will ich einfach nach hinten. Ich versuche zweimal ihm deutlich zu machen, dass nach hinten gehen vollkommen reichen würde und ich gar nicht nach vorne will, gebe dann aber auf. Also setzten wir uns in Guaman nach vorne – in einem Sprinter sind das übrigens schon die mit Abstand bequemsten Plätze ;)
Die meisten Lehrer steigen hier zu und fabrizieren in den nächsten zwei Stunden einen Höllenlärm – und das mitten in der Nacht. Ich bin wenig begeistert, aber nun gut, was will man schon machen. Also verweile ich im Halbschlaf und hoffe einfach, dass wir unserem Ziel näher kommen. Nach den beschriebenen zwei Stunden wird es dann auch ruhiger und ich komme dem Zustand des Schlafens etwas näher. So sind die sechs Stunden Fahrzeit halbwegs erträglich. In Accra angekommen lässt man uns erstmal eine halbe Stunde vor der Tür warten – die hätte ich lieber in meinem Bett verbracht! Ich verschlinge einen Teil meines Frühstücks, während Franzis angesprochen wird, ob wir denn einen Workshop leiten würden – wir sind halt nun mal auch weiß. Apropros weiß – das ist in Accra echt immer ein „Kulturschock“: so viele Weiße zu sehen ist man einfach nicht mehr gewöhnt.
Als wir dann in die Schule reingelassen werden – ein riesiger Komplex von Kindergarten bis zur zwölften Klasse, bekommen wir gut organisiert Namensschild und Block inklusive Programm und anschließend unser Frühstück. Während die anderen in der Aula warten schaue ich mich ein bisschen um. Ein kleines Schwimmbecken, ein überdachter Basketballplatz, ein sehr europäisch anmutender Spielplatz und ein Fußballplatz. Dieser wird gerade bewässert und fünf kleine weiße Kinder werden von drei dunkelhäutigen trainiert. Die Eltern gucken von der Tribüne aus zu. Neben dem Fußballplatz suche ich die Toilette auf. Unter den Waschbecken finden sich kleine Holzschränkchen – wie bei Oma :D – und neben dem Waschbecken hängt ein Schild zum richtigen Händewaschen (inkl. 20 sekündigem Einseifen) – fast das gleiche hängt auch in meiner alten Schule.
Wieder in der Aula angelangt geht es bald los. Wir werden begrüßt und bekommen erste Aufgaben im Plenum: eine Definition von „Transferable Skills“ (Thema des Workshops) in eine Skizze umsetzen; aus einer Sammlung von Begriffen einen aussuchen und aufschreiben, warum wir gerade diesen für wichtig halten (ich entscheide mich übrigens für „Questioning“ :D) – und dann jeweils über unser Ergebnis ins Gespräch kommen. Schnell merken wir, dass solche Aufgaben hier für die Lehrer eher ungewöhnlich sind. Die Lehrer aus Guaman schreiben die Definition erstmal ab. Nach einiger Zeit hat einer eine Skizze fertiggestellt, ich lausche gespannt der Erklärung. Pfeile gehen vom Lehrer zu den Schülern und zurück: Die Schüler lernen von uns und wir von Ihnen. Organisiert wird die Fortbildung von „Beyond the Book“, kommt mir irgendwie bekannt vor – Google Time: Englische Organisation. Keine Ahnung, ob die tatsächlich auch schon mal in Deutschland was gemacht haben.
Kurze Zeit später gehen wir in die Klassenräume – hierfür werden alle Workshop-leiter auf die Bühne gerufen. Fast die Hälfte sind Weiße, unter den circa 400 Teilnehmern hingegen ist kaum einer zu finden. Im Klassenraum angekommen, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus:
an der Wand hängen Plakate zum Thema lernen, gespickt mit Zitaten von Einstein, Lincoln, etc. Der Raum ist mit Klimaanlage ausgestattet und angenehm heruntergekühlt, so lässt es sich lernen! Der Klassenraum verrät schon, dass hier nicht allzu viele Schüler lernen (später erfahre ich, zumeist um die 15). Zur Standardausstattung gehören hier zwei Whiteboards, Bücherregale mit Büchern (ja, es macht Sinn zu erwähnen, dass hier in den Bücherregalen auch Bücher sind; ich habe hier durchaus schon anderes erlebt) eine Dokumentenkamera, installierte Boxen und ein MacBook Pro; alles je Klassenraum, versteht sich.
An der Wand hängen Plakate zum Umgang mit sozialen Medien und welche mit Sprüchen wie „Be the change you want to see in the world“ oder „Be yourself“. Hier ist es ja westlicher als im Westen! Viele Eindrücke strömen auf mich ein: Wenn unsere Schüler Namen wie Einstein oder Lincoln nur kennen würden – wenn es an ländlichen Schulen nur solch eine finanzielle Unterstützung, und mit ihr verbunden, eine solche Ausstattung gäbe – wenn es diese Einstellung, die Schüler zum Sein (to be) und anderssein (s. Giraffe unter Zebras) nur gäbe – wenn Schüler soziale Netzwerke so nutzen könnten. Eine unfaire Welt, in der wir alle leben (ich habe das Gefühl, dass ich dieser „Unfairness“, oder besser Chancenungleichheit, hier direkter begegne, ihr quasi ins Gesicht schauen darf und muss)! Es ist Zeit für die zweite Google Time: die Lincoln Community School Accra hat natürlich einen eigenen Wikipedia-Artikel, auf dem ich auch schnell die Begründung finde. Die Schule gehört – wie der Name erahnen lässt – zu den Amis und unterhält unzählige Verträge zu Botschaften, NGO’S, etc. 20% der Schüler sind Amerikaner, 14% Ghanaer und die restlichen zwei Drittel bunt durchmischt.
Der Workshop plätschert so vor sich hin (vielleicht schreibe ich später nochmal ein paar Zeilen dazu; in meinen Augen gibt er nicht so viel her, lediglich die Überschrift und Ausgangsthese – Menschen sind unterschiedlich und müssen unterschiedlich unterrichtet werden – finde ich super) und der Leiter, Lehrer an der Lincoln Community School, erzählt vor allem gerne von sich selbst. Mittagessen ist angesagt, und es schmeckt wirklich gut ☺.
Wir sitzen in der Nähe einer Mülltonne und ich schaue skeptisch zu, wie der Papier- und Plastikmüll in eine Tonne mit der Beschriftung „Glas only“ geschmissen wird. Eine Frau sieht mich, lächelt und schmeißt ihren Müll in eine andere Tonne :D. Die Mülltonnen sind übrigens made in Germany – Export von Hochkomplizierten Maschinen war gestern, heute ist Mülltonnenexport angesagt! In der Mittagspause schauen Franzis und ich gemeinsam über den Büchermarkt und stellen fest, dass wir für die Bücherei mal ein paar nette Bücher kaufen sollten, sowas wie Gregs Tagebuch oder Bücher von Enid Blyton; und nicht immer nur wissenschaftliche oder moralisierte und belehrende Bücher für Jugendliche.
Nach dem Mittagessen geht der Workshop noch kurz weiter, bevor wir wieder in die Aula sollen. Unsere Gruppe macht sich aber bereits jetzt auf den Rückweg. Die – übrigens sehr edel anmutenden – Urkunden wurden für uns bereits eingesammelt und wir wollen gerade zum Trotro gehen, als sich der Bankbesitzer uns vorstellt. Ein netter Herr, wir wechseln in der Eile ein paar freundliche Worte und er sagt, dass er in ein, zwei Wochen mal nach Guaman kommen werde und uns dann auch in der Schule treffen werde, wir sind gespannt. Irgendwie cool ein paar Wörter auf Deutsch zu wechseln.
Die Rückfahrt ist mit der Hinfahrt sehr vergleichbar und nach gut sechs Stunden kommen wir erschöpft an – gut 21 Stunden waren wir unterwegs. Die Freude auf das warme und weiche Bett ist groß und nach dem Abendessen legen wir uns auch sogleich hinein.

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