Dienstag, 29. November 2016

Home visits

Zu unserer Arbeit, oder unserem Freiwilligendienst hier, gehören auch Home Visits. Wie der Name schon sagt, besuchen wir Schüler zu Hause. Wir, das heißt Franzis und ich, machen das immer gemeinsam mit Jo. Die ersten sechs liegen hinter uns – letzten Mittwoch meine drei, die Woche davor zwei von Franzis und die Woche davor eine Schülerin von Franzis – Zeit ein bisschen zu erzählen.
Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie einen deutschen Elternsprechtag, bei dem der Schüler dabei ist, finde ich. Der Lehrer – also wir – erzählen wie sich der Schüler in der Schule so macht, was gut klappt und was nicht so gut und was man noch verbessern sollte (endlich konnte ich mal sagen mehr Hausaufgaben machen, anstatt mir wie sonst jedes Jahr von meinen Eltern berichten zu lassen, dass der Lateinlehrer wünscht, dass ich mehr Vokabeln lerne :D). Was hier sicherlich anders ist: die Eltern berichten mindestens genauso ausführlich, wie der Schüler sich zu Hause so verhält. Dabei wird immer erwähnt, wie viel er zu Hause lernt, ob er wie gewünscht im Haushalt mithilft, ob er auf die Eltern hört, ob er zu viele Filme guckt und zu viel spielt.
Zu viel Spielen wird hier meinem Eindruck nach tatsächlich „verteufelt“. Es wird angesehen als der Gegensatz zum Arbeiten und Lernen, so werden die Schüler ermahnt sie sollen nicht so viel Zeit mit Spielen verbringen. Spielen bedeutet dabei vor allem, was mit Freunden machen, einfach Spaß haben. In etwa dem gleichen Maße wird Filme gucken kritisiert, was die Schüler hier viel zu machen scheinen. Während ich letzteres gut unterstützen kann, denke ich mir bei ersterem, dass es für die Schüler durchaus auch sehr gut sein kann, einfach unbesorgt spielen und mit Gleichaltrigen was unternehmen zu können.
Ein weiterer Unterschied: Der Schüler wird fast ausschließlich kritisiert. Alle sechs Schüler haben bisher deutlich zu wenig gelernt. Ich habe teilweise den Eindruck, dass man gezielt nach dem, vermeintlichen, Fehlverhalten sucht. Während man bei uns, so denke ich, oftmals gezielt versucht das positive Herauszuheben. Selbst wenn meine Berichte über das Verhalten im Unterricht hauptsächlich positiv waren, wurde der Schüler für sein Verhalten immer kritisiert, statt gelobt. Irgendwie schade. So habe ich am Ende oftmals gezielt versucht, das Positive herauszuheben.
Im Folgenden möchte ich nun konkret zu den heutigen Besuchen schreiben.
Vorweg: ich unterrichte drei Schüler, alle in Einzelunterricht. Den Rest der Zeit verbringen sie in der normalen Klasse. Ich unterstütze in Mathe und Englisch, jeden Schüler habe ich von montags bis donnerstags 70 bis 140 Minuten, je nach Tag.

Zuerst waren wir bei James. James ist 14 Jahre alt und in der Form 2 (8. Klasse). Er ist ein aufgeweckter Kerl, ich kann mich in Englisch gut mit ihm verständigen. Wir lesen gemeinsam das Buch für die class 4 (4. Klasse – ich glaube, ungefähr niemand aus der 4. Klasse könnte auf diesem Niveau lesen, James ist für seine Klasse in Englisch wohl eher im Durchschnitt), jeden Abschnitt fasst er zusammen, am Ende beantwortet er Fragen schriftlich. Die Hauptaussagen versteht er, Sätze selbst zu formulieren fällt ihm durchaus noch schwer. In Mathe haben wir das 1x1 gelernt, sowie die schriftliche Multiplikation und versuchen uns gerade an der schriftlichen Division. In etwa so sage ich das auch der Mutter (bzw. Jo, der dann übersetzt). Von der Mutter erfahren wir, dass James Vater in Accra lebt und sie sich alleine um ihn kümmert.
Das ist hier erstaunlich oft so. Kinder wachsen oft gar nicht bei ihren Eltern auf. Teilweise kümmern sich die Großelter, teilweise auch Fremde. Oder wie bei James, nur ein Elternteil. Ich habe Jo vor einiger Zeit gefragt, ob es ein Unterschied für die Kinder sei und wenn ja, was das Beste für sie sei. Er antwortete mir, im Normalfall ist es für die Kinder am besten, bei ihren Eltern aufzuwachsen. Diese kümmern sich um sie und haben ein ehrliches Interesse am Wohlergehen des Kindes. Bei den Großeltern aufzuwachsen sei hingegen zumeist am schlechtesten. Diese hätten nicht genügend Energie, bei den Kindern ausreichend hinterm Lernen und anderem her zu sein, die Kinder hätten zu viel Freiraum, würden nicht genug an die Hand genommen. Irgendwo dazwischen ist das Aufwachsen bei Fremden: diese würden den Kindern meistens nicht erlauben zu machen was sie wollen, stattdessen müssen die Kinder ordentlich mithelfen. Risikofaktor: manchmal passiert es, dass die Kinder nur für die Arbeit ausgebeutet werden und die Fremden keinen Wert auf die education des Kindes legen (ich habe extra nochmal nachgefragt: ja, das kommt hier durchaus vor).
Wenn sie ihn um etwas bittet, hilft er im Haushalt mit. Allerdings lernt er selten und ist oft mit Freunden unterwegs, Samstag oftmals den ganzen Tag schwimmen. Wenn er unterwegs ist, kann er natürlich nicht helfen, wenn gerade was ansteht. Manchmal muss die Mutter ihn gar wiederholen, beschreibt sie, da er so lange weg ist. Generell würde sie sich wünschen, dass er mehr auf sie hört. Ich frage, ob ihm denn jemand bei Hausaufgaben oder z.B. beim Lesen helfen könnte. Es wird deutlich, dass das durchaus schwierig ist. Ein Lehrer unserer Schule wohnt in der Nähe, den hat die Mutter gefragt und er hat wohl Bereitschaft gezeigt. James geht aber nicht zu ihm, weil er weiß, dass dieser ihn schlägt, wenn er die Sachen nicht so ausführen kann, wie dieser sich das wünscht. Sie selbst kann ihm nicht helfen, James kann sicherlich besser Englisch als sie.
Die Bildung der Eltern ist hier oftmals ein großes Problem, beschreibt Jo. Zum einen, weil sie ihren Kindern schon früh nicht mehr weiterhelfen können. Zum anderen, weil sie die education ihrer Kinder oftmals als nicht wichtig genug erachten. Des Weiteren wäre es für die Schüler natürlich ungemein hilfreich, wenn die Eltern mit ihnen Englisch sprechen oder englische Bücher lesen könnten (Bücher sind hier übrigens echt ein Luxusgut, kaum jemand hat überhaupt nur ein einziges zu Hause).
Die Bildung von James ist ihr aber sehr wichtig, auch weil er der Erstgeborene ist und die jüngeren zu ihm aufschauen können sollen, und sie wäre durchaus bereit dafür Geld zu bezahlen – eine konkrete Idee fehlt aber.
Im darauffolgenden Teil ermahnt Jo James mehrfach, er solle auf seine Mutter hören und mehr lernen. Durchsetzt mit der, eher rhetorischen, Frage, warum er dies denn nicht jetzt schon tut. Gegen Ende droht er, wenn er nicht auf seine Mutter hört müsse man halt irgendwann „canen“ (=mit dem Stock schlagen; cane engl. für Stock). Dabei erwähnt er an uns gerichtet, wir können ihn dann zu den anderen Lehrern überweisen sofern er seine Hausaufgaben nicht macht, er wisse ja, dass wir das nicht machen. Daraufhin erwähne ich, dass er auch wisse, dass wir auch das nicht tun werden.
Wir haben Jo noch nie schlagen sehen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass er es (fast) gar nicht macht. Er benutzt es als Drohung.
Ohne konkrete andere Vereinbarungen gehen wir und James zeigt uns den Weg zum nächsten Schüler, Emmanuel.
Ich habe mir in der Zwischenzeit überlegt, ich schaue mit James morgen ob wir in der Library ein Buch finden, was vielleicht auch ein bisschen Spaß macht zu lesen. Dieses kann er dann zu Hause selber lesen und zu jedem Kapitel was aufschreiben. Darüber hinaus ist es glaube ich wichtig, dass er gerade in Mathe – was ihm eher schwer fällt – in der normalen Klasse ist und ich mit ihm anschließend das nacharbeiten kann, was er nicht verstanden hat. Darüber hinaus soll er mir sagen, was er gerne lernen möchte. Und ich gedenke gemeinsam einen Plan zu machen, wie viel er wann zu Hause liest. Sodass er vor Augen hat, was er erreichen möchte und wie das möglich ist (zu Beginn hat James oft seine Hausaufgaben nicht gemacht. Ich schreibe mir in ein Heft immer auf, was wir in der Stunde machen und ob die Schüler die Hausaufgaben gemacht haben. Als ich mich geärgert habe, dass er die Hausaufgaben schon wieder nicht gemacht hat, habe ich ihm gezeigt wie oft er sie jetzt schon nicht hatte. Seitdem markieren wir immer farbig ob er die Hausaufgaben gemacht hat oder nicht – und seitdem hatte er sie fast jedes Mal gemacht).

Als wir bei Emmanuel ankommen, mäht er gerade den Rasen. Gemeinsam gehen wir in den Innenhof, die Großmutter wartet hier bereits auf uns. Sie heißt uns herzlich willkommen
Wir werden hier wirklich immer sehr herzlich willkommen geheißen, egal wo. Sowohl bei den Home Visits, hier bedankt man sich am Ende auch immer sehr freundlich – und ich glaube auch ehrlich, als auch wenn wir sonst irgendwo sind.
und erklärt, dass der Vater im Dorf arbeitet und die Mutter in Accra, sie würde sich hauptsächlich um Emmanuel kümmern. Hier verläuft das Gespräch nun ein bisschen anders: sie lobt Emmanuel ausdrücklich für sein Verhalten, gerade in Bezug auf das Lernen zu Hause. Allerdings hat Emmanuel seit der Kindheit eine Beeinträchtigung, bereits Krabbeln und Gehen hat er später gelernt. So braucht er auch zum Erlernen von neuem Stoff wesentlich länger und ist mit seinen 14 Jahren und seinem jüngeren Bruder in der Form 1 (7. Klasse). Sie beschreibt, dass er sehr bemüht ist, es ihm aber einfach sehr schwer fällt. Ich antworte, dass ihre Beschreibung zu den Erfahrungen passt, die ich in der Schule mache. In Mathe machen wir bereits seit so einigen Woche schriftliche Subtraktion, mal klappt’s besser mal schlechter; in Englisch fällt es ihm unglaublich schwer Buchstaben mit Lauten zu verbinden und Wörter wirklich zu lesen (wir lesen Drei-Buchstaben-Wörter-Geschichten). Dabei möchte er oft auch von sich aus gerne lesen (bei ihm trainiere ich aktuell meine Geduld. Manchmal fällt es mir echt schwer, Sachen das gefühlt ∞ Mal zu erklären und keinen Schritt vorwärts gehen zu können). Ich frage, ob ihn zu Hause jemand unterstützen kann (ja ich weiß, meine Standardfrage :D) und auch mit ihm gemeinsam lesen kann (es muss jemand neben ihm sitzen, glaube ich, wenn er lesen möchte. Er kann sonst zu viele Wörter gar nicht lesen). Die Großmutter sagt, dass sie nicht zur Farm geht
Hier auf dem Land sind die Eltern fast alle Farmer, sofern sie eben nicht in Accra sind. Zumeist leben sie mit mehreren Generationen zusammen und die Eltern sind von morgens früh bis abends auf der Farm; außer mittwochs (also in Guaman). Es gibt immer einen Tag, an dem keiner aus dem Dorf zur Farm geht.
und Zeit hat, sie macht das gerne. Wir vereinbaren, dass ich Emmanuel ein Buch mitgebe. Die Großmutter scheint wirklich sehr interessiert und bemüht zu sein, super! Wir verabschieden uns und Emmanuel bringt uns zu Fianyo, meinem dritten Schüler und ich freue mich: wenn die Großmutter jetzt tatsächlich regelmäßig mit ihm liest, und das glaube ich wohl, hat sich dieser Besuch mehr als gelohnt.

Bei Fianyo angekommen werden wir sofort freundlich begrüßt, uns werden Stühle geholt und wir setzen uns.
Die Familien hier haben immer so einige dieser für uns billigen und einfachen Plastikstühle. Die gibt’s hier überall, egal ob auf der Funeral, der Großveranstaltung oder eben zu Hause – und ich habe mich schon so dran gewöhnt, dass ich über die Unterschiede philosophieren kann :D
Die Mutter wird geholt und wir erfahren, dass Fianyo ihr nichts erzählt hat und er selbst auch gar nicht zu Hause ist. So unterhalten wir uns nur mit ihr, drumherum sitzen ein paar andere Erwachsene, unter anderem der Großvater. Wir erfahren, dass Fianyo morgens zwar Wasserholen geht
Die Familien haben hier zumeist keinen Wasseranschluss. Sie müssen zum nächsten Fluss oder Brunnen gehen und Wasser zum Trinken, Waschen, Duschen, Kochen etc. holen. Zumeist machen das die Kinder. Elektrizität haben die meisten, lediglich die sehr kleinen Dörfer die zumeist höher an oder auf den Bergen liegen, haben teilweise gar keinen Strom. Der Strom fällt hier allerdings durchaus regelmäßig aus.
danach aber nicht mehr mithilft beim Saubermachen und Kochen. Nachmittags geht er zumeist zu seinem Großvater und macht dort mit Patrick, wenn ich es richtig verstanden habe ist das sein Cousin, Hausaufgaben. Dieser ist in der Form 2 und kann Fianyo durchaus helfen.
Als ich erzähle, dass ich ihn gerade in Mathe als durchaus intelligent aber oftmals langsam einschätze, wird mir direkt zugestimmt. Weitergehend berichte ich, dass wir in Englisch viel gemeinsam lesen (wir lesen gemeinsam das Buch für die class 2) und er sich Schritt für Schritt beim Verstehen verbessert und es ihm schwer fällt eigene Sätze zu schreiben, auch das verbessern wir durch viel Übung langsam. Nach ein paar weiteren Sätzen verabschieden wir uns und machen uns auf den Heimweg.
Gut zwei Stunden waren wir unterwegs und ich bin zufrieden. Ich habe das Gefühl, die Besuche haben etwas gebracht. Und es ist auf jeden Fall spannend, die Schüler, mit welchen man jeden Tag in der Schule gemeinsam lernt, zu Hause zu erleben.

(geschrieben am 16. November – Jona)

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