Donnerstag, 29. September 2016

Ein Gespräch

Wir saßen zu zweit an dem Tisch, wo oft die Lehrer sitzen, sofern Sie gerade nicht unterrichten. Winfried (Tutu), der Schulleiter, kam zu uns, und sprach uns von sich aus auf das Schlagen an. Er wisse, dass das bei uns nicht gemacht wird und dass wir das nicht gut finden. In Ghana verändere sich die Einstellung hierzu gerade. Es gäbe hierbei wesentliche Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Er versichert, dass in den nächstgelegenen größeren Städten wie Hohoe oder Ho gar nicht mehr geschlagen wird; in den ländlichen Regionen, wie hier wo wir leben, sei dies hingegen gängige Praxis.
Ich versuche zu erklären, dass auch in Deutschland geschlagen wurde. Das „wir“ uns davon wegentwickelt haben. Das heute nicht mehr geschlagen wird, dass es gesellschaftlich geächtet und gesetzlich verboten ist. In unseren Augen sind „wir“ einen Schritt weitergegangen, „wir“ wollen es jetzt nicht mehr. Das macht es für uns schwierig hier zu sehen, dass Schüler geschlagen werden. Wir sind uns sicher, dass es nicht gut ist.
Tutu, welcher eigentlich Arzt werden wollte, wofür sein Geld aber nicht reichte, reagiert mit viel Verständnis. Auch er heißt das Schlagen nicht gut. Ganz im Gegenteil, er versichert, dass er es gerne vermeiden würde. Allerdings, er sieht keine Alternative. Hier auf dem Land hätten die Schüler keine Vorbilder: sowohl Eltern als auch Nachbarn sind entweder Farmer oder kleine Händler/Verkäufer, Schulbildung ist dafür kaum notwendig. Darüber hinaus ist den Eltern die Bildung ihrer Kinder nicht so wichtig, sie lassen die Lehrer, aus deren Sicht, im Stich. Zu Hause werden zumeist keine Bücher gemeinsam gelesen, wichtige Grundlagen die bei „uns“ zu Hause gelegt werden, fehlen hier. Aufgrund der mangelnden Vorbilder hätten die Kinder keine Motivation, beschreibt er. Hausaufgaben würden einfach nicht gemacht.
Gemeinsam können wir uns auf die Formulierung einigen, dass seiner Meinung nach die Kinder keine innere Motivation hätten. Er schaffe es als Lehrer auch nicht, diese innere Motivation zu erzeugen. Damit die Kinder überhaupt die Hausaufgaben machen, wird geschlagen.
Wir merken an, dass die Kinder immer nur ja sagen; auch dann, wenn sie in Wirklichkeit nichts verstanden haben. Wie könne das sein? Sie seien oftmals „afraid“. Na klar, wenn ich Angst habe geschlagen zu werden, frage ich doch auch nicht nach. Tutu antwortet, dass das nicht der Grund sein kann. Schlagen während des „teachings“ sei verboten. Das würde niemand machen. Er betont mehrmals, dass wenn ein Schüler Nachfragen stellt, es seine Pflicht sei, alles von vorne zu erklären. Wenn der Schüler es immer noch nicht versteht, ist es seine Pflicht weiter auszuholen, auch wenn er dann jenen Stoff wiederholen müsse, welcher in der Grundschule gelehrt würde. Es sei das Recht der Schüler, alles verstehen zu dürfen. Darüber hinaus sei es das Recht der Schüler, ihn während der Pausen anzusprechen, wenn sie etwas nicht verstanden hätten. Es wäre seine Pflicht ihnen zu helfen, und er würde alles in aller Ruhe erneut erklären. Er versichert dies alles sehr ernsthaft und glaubwürdig.
Wir zweifeln, ob die Schüler das auch Wissen. Er sagt er sei sich sicher, sie würden es zumindest teilweise auch in Anspruch nehmen. Dennoch verspricht er, es ihnen erneut zu sagen.
Geschlagen werden die Schüler während der „repetition“. Bereits am Tag zuvor wurde etwas besprochen, alle Schüler sagten sie können es. Bei den Hausaufgaben werden grundlegende Mängel festgestellt. Vor der Kontrolle haben die Schüler aber noch die Möglichkeit nachzufragen, ohne dass sie geschlagen werden würden. Oder auch direkt im Anschluss an die Erklärung werden Aufgaben gestellt, die nicht gelöst werden können. Jeder „repetition“ geht aber „teaching“ voraus, eine Zeit in der Fragen gestellt werden dürfen und können.
Das Schüler „afraid“ sind mag ja sein, denke ich mir und äußere es auch, aber sie kommen nicht so auf die Welt. Diese Angst oder Sorge vor etwas entsteht erst durch die „education“. Gemeinsam finden wir Punkte, die vermutlich zum „afraid“ sein führen. In der Klasse wird schnell ausgelacht, der Lehrer macht durchaus auch mal mit. Im Allgemeinen ist Fragen stellen nicht so besonders angesehen, man gilt eher als derjenige der halt nichts versteht. Und natürlich ist es auch sehr stark vom Lehrer abhängig, wie mit Nachfragen umgegangen wird. Wir sind uns einig: das muss sich verändern! Aber einfach ist das nicht.
Ich frage wo Tutu herkommt, mich interessiert wie er Lehrer geworden ist. Er kommt aus einer ländlichen Region. Wie hat er den Weg geschafft? Er hatte ein „aim“, was ihn angetrieben hat. Er hat auf Farmen gearbeitet, um seine Schul- und Universitätsgebühren (das sind hier ganz andere Kosten als in Deutschland) zu bezahlen. Auf der Secondary School war er in „Integrated Science“ der beste, seine Lehrerin unterstützte ihn. Er besuchte Collage und Universität, man braucht eigentlich nur auf eins von beiden zu gehen um Lehrer zu werden. Er betont, dass er glaubt um ein guter Lehrer zu sein, wäre es gut auf beidem gewesen zu sein. Auf dem College würde man viele Methoden lernen.
Auch hier, in Guaman, seien in den Klassen zwei, drei gute Schüler. Schüler die ein „aim“ haben. Sie „bräuchten“ nicht geschlagen zu werden, versichert er auf Nachfrage. Sie haben eine innere Motivation.
Bevor wir auseinandergehen macht er deutlich, dass er offen ist für Anregungen, wie er ohne Schlagen auskommen kann.

Ich bin irgendwie beeindruckt. Er hat sich größte Mühe gegeben uns zu erklären, wovon er genau weiß, dass wir es nicht verstehen und auch ein Problem damit haben. Er hat auch über sich selbst einiges erzählt. Sehr deutlich hat er gesagt, er sei offen für Anregungen. Und ich kann nachvollziehen, dass es nicht einfach ist; gerade wenn die Schüler kein Ziel vor Augen haben, selbst kein großes Interesse an Schulbildung haben. Wir sind uns einig, dass Schlagen nicht gut ist. Ich bin davon überzeugt, dass es einen alternativen Weg gibt, auch wenn ich ihn (noch) nicht aufzeigen kann.

(Jona)

2 Kommentare:

  1. Das ist ein guter Schritt für einen fruchtbaren Prozess, dass ihr über das Thema "in Augenhöhe", in gegenseitiger Wertschätzung, ins Gespräch gekommen seid

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  2. Du schreibst richtig toll, Jona, und es ist richtig interessant das so zu lesen! Spannende Gespräche die ihr führt und führen könnt. Bin "impressed"! ;-)

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